Genie [frz.; von lat. Genius]
 
Joachim Gothe Genie [frz.; von lat. Genius ]. zu Beginn des 18. Jahrhunderts aus dem Französischen übernommenes Wort. zunächst synonym mit Geist; durch J.P.Schlegel und dessen Übersetzung von Ch. Batteux' Werk "Beaux-Arts..." (1746, dt. 1751 u. d. T. "Einschränkung der schönen Künste auf einen einzigen Grundsatz") endgültig eingeführt, wurde Genie in dessen Differenzierung zu einem Leitbegriff der Geniezeit, zur Bez. des Schöpferischen und der Originalitat des Dichters und des Künstlers; heute allgemein für einen Menschen, der eine bedutende schöpfer., originale Leistung auf künstler., polit., wissenschaftl. oder eth.-moral. Gebiet vollbringt, die für die Gegenwart und/oder Zukunft richtungweisend wirkt, wobei das Urteil, ob einem Menschen das Pradikat Genie zukommt, von den histor., zeitbedingten Maßstäben und Normen der beurteilenden Gruppe bzw. Gesellschaftsschicht abhängig ist. Im Zusammenhang mit der Entwicklung des neuzeitl. Welt- und Menschenbildes und eines neuen persönl. Bildungsbegriffs, die gekennzeichnet ist als Emanzipationsbewegung aus den mittelalterl. "objektiven"`, überindividuellen theonomen Ordnungen und Bindungen in Richtung auf eine größere Individualität und autonome Subjektivität in einem neuen Persönlichkeitsideal, wird anstelle der im MA übl. Nachahmung bzw. Neudarstellung Überkommener Vorstellungen in der Renaissance die Originalität zum Leitwert zunächst v.a. der ästhet. Theorie und Praxis und entsprechend der durch Spontaneität und Originalität bestimmte Künstler, das Genie zum Inbegriff menschl. [Selbst]verwirklichung. Diese Tendenz verstärkt sich in der Folgezeit in Aufklärung, Klassik, insbes. in Sturm und Drang, der Geniezeit, wobei zunehrnend der Begriff der Natur in Korrelation zum Geniebegriff tritt, während andererseits der Verstand als konstituierendes Moment bes. in der Geniezeit zurücktritt oder verschwindet. Wie Diderot in Frankreich, so gewinnt in England v. a. Shaftesbury entscheidenden Einfluß auf das Genieverständnis. Gemäß seiner kosmolog.-ästhet. Persönlichkeitsphilosophie kann sich der den Kosmos durchwaltende göttl. Genius im schöpfer Enthusiasmus des Genies, das sich im Einklang mit der göttl. Natur befindet, offenbaren; das Genie wird ins göttl. erhoben, zur ,,zweiten Gottheit". Prometheus wird zum zentralen Symbol der Genietheorie. Vorbereitet durch den Pietismus findet der neue Irrationalismus und Subjekivismus des Gefühls Eingang in die Philosophie und ästhet. Theorie Baumgartens, Mendelssohns u. Sulzers. Nach Lavater (1789) ist Genie " ... Unnachahmlichkeit, Momentaneität, Offenbarung,Erscheinung, . ..''; das ,,Wesen der Genies ist ,,Übernatur, Übergelehrsamkeit, Übertalent, Selbsterleben''. Kant nennt dagegen als Vermögen des Gemüts, die das Genie ausmachen, Einbildungskraft und Verstand. Genie ist nach ihm ,"die meisterhafte Originalität der Naturgabe eines Subjekts im freien Gebrauch seiner Erkenntnisvermögen''; es ist das "Talent der Erfindung dessen, was nicht gelernt werden kann'', die ,,angeborene Gemütsanlage (ingeniun), durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt''. Goethe, der im übrigen den Geniebegriff der Geniezeit kritisiert, will im Anschluß an Kant das Genie bestimmt wissen als ,,diejenige Kraft des Menschen, welche durch Handeln und Tun Gesetze und Regeln gibt''. In Nietzsches Philosophie des ,,Übermenschen'' wirkt der Geniebegriff nach und findet eine extreme Übersteigerung.- Die Versuche, das Genie mit psychopathologischen Kriterien zu erfassen, sind umstritten, ebenso die Genialität psychometrisch zu bestimmen; Personen, deren Intelligenzleistung einen Intelligenzquotienten größer als 140 ergibt, werden mitunter als Genie bezeichnet.